Im Laufe meines singenden Lebens war ich öfter in Situationen, die mir die Stimme geraubt haben. Mal war es der Vergleich mit anderen Sängerinnen, die vielleicht besser, schöner, lauter oder einfach nur freier sangen. Mal war es die Erwartung, die ich bei anderen spürte wenn ich singen sollte, mich in der Situation aber nicht wohl fühlte. Oder einfach nur das Gefühl, mich einer Beurteilung durch andere überhaupt aussetzen zu müssen. Die Aufforderung „sing doch mal was“ schnürte mir regelmäßig die Kehle zu.

Da die eigene Stimme etwas so sehr persönliches ist, ein Instrument im eigenen Körper (besser gesagt: der eigene Körper als Instrument), ist sie auch so sehr verletzlich. Gefällt der Klang dieses Instruments nicht, so kann es nicht einfach repariert oder im Laden umgetauscht werden. Kritik an der Stimme wird als Kritik an der eigenen Person wahrgenommen.

Es ist der Erwartungs- und Leistungsdruck, der hierzulande allgegenwärtige Wettbewerb, der das freie Singen so schwer macht. Wie in so vielen anderen Disziplinen gibt es auch (und in besonderem Maße) beim Gesang eine strenge Haltung:

Du darfst das nur, wenn du es auch richtig kannst!

Ansonsten bitte lieber nicht.

Kein Platz ist mehr für den Gedanken, dass Singen vor allem ein Ausdruck der Persönlichkeit ist, eine Möglichkeit sich zu äußern und mitzuteilen und – wie alles Musizieren – ein Mittel, eine Gemeinschaft zu bilden, ein Gespräch mit mehr als Worten zu führen, einander Freude zu bereiten, zu kommunizieren.
Singen bringt uns in Beziehung zu uns selbst und zu anderen.

Singen ist für jeden Menschen erlernbar, der einen gesunden Stimm- und Atemapparat und ein gesundes Gehör besitzt.

Mein Wunsch ist es, in meinem Unterricht, meinen Workshops und in meinen Chören das gewohnte Bewertungssystem beiseite zu lassen und genau an dem anzusetzen, woran es vielen Menschen aufgrund von schlechten Erfahrungen fehlt: an der ganz persönlichen Freude am Singen!